Das Internet hat unsere Lesegewohnheiten stark verändert. Online lesen bringt andere Rezeptionsgewohnheiten mit sich als das Blättern von Papierseite zu Papierseite. Der wichtigste Unterschied: im Netz wird kaum linear (=durchgehend) sondern hauptsächlich zirkulär (=herumhüpfend) gelesen.
Der dänische Webseiten-Forscher Jakob Nielsen hat in zahlreichen Studien die Blickbewegung von Menschen beim Betrachten von Webseiten analysiert. "Sie tun es nicht. Sie scannen nur die Seiten", so lautete seine Antwort. Internetseiten würden nicht Wort für Wort gelesen, sondern der Blick fährt in Form eines F über den Text: Er wendet sich der ersten Zeile zu, springt zu einem späteren Absatz, um dort zumeist ebenfalls nur eine Zeile lang zu verharren, und durchforstet dann nur noch die Anfangsworte der Zeilen.
Eine Studie von deutschen Informatikern unterfüttert Nielsens Daten.“ (Quelle: Spiegel Online)
Das Thema Lesegewohnheiten von digitalem Content ist so komplex, dass man kann damit locker mehrere Dissertationen füllen könnte. Ich greife daher einen Aspekt heraus, der insbesondere für Marketer, Content-Strategen und Suchmaschinenoptimierer Relevanz hat.
Die intensive Beschäftigung mit Bewertungsplattformen hat mich eines gelehrt: UserInnen halten beim Scannen und Überfliegen des Content Ausschau nach ganz bestimmten Signalen. Nennen wir sie der Einfachkeit halber Reader Signals.
Das Spiel mit Grundängsten: Reader Signals auf Bewertungsplattformen
Bei Ärztebewertungsplattformen beispielsweise zeigt sich, dass Beiträge mit 1-Stern-Bewertungen, in denen User über Probleme (meistens kommunikativer Natur) mit dem Arzt berichten, starke Reader Signals sind. Solche Beiträge werden von anderen Nutzern signifikant häufiger mit dem Attribut "hilfreich" versehen als positive Beiträge. (Lesen Sie hierzu meine Beiträge Bewertungsplattformen: Welche Macht sie wirklich haben !) Das liegt nicht etwa daran, dass die UserInnen grundlegend negativ eingestellt wären, sondern mit dem Sicherheitsdenken. Menschen haben, gerade wenn es um etwas so Sensibles geht wie ihre Gesundheit, Grundängste: Wird sich der Arzt um mich kümmern, wird er mich ernst nehmen?
Wenn diese Grundängste in Bewertungsplattformen in irgendeiner Form angesprochen werden, reagieren wir darauf mit besonderer Aufmerksamkeit. Und wenn sie einfach ausgeblendet werden, sind sie trotzdem vorhanden. Natürlich können Reader Signals auch positiv sein, etwa einE PatientIn davon erzählt, dass sich der Arzt/die Ärztin besonders empathisch um ihn/sie bemüht hat. Auch solche Berichte bekommen mehr "Hilfreich"-Bewertungen als rein faktenbezogene Reports. Der Grund, warum negative Bewertungen in diesem Zusammenhang mehr Resonanz erhalten, liegt am zirkulären Lesen und dem Reader Signal: man sieht sie beim Scannen des Textes besser! Ein Stern und ein griffiger Titel inmitten von *****-Lobeshymnen sticht eben auch optisch sofort heraus.
Nun sollte es selbstverständlich sein, dass man (insbesondere längere) Texte der besseren Übersichtlichkeit halber mit Zwischentiteln versieht und den Text dadurch inhaltlich strukturiert. Man kann dieses Prinzip für die Gewohnheiten des digitalen Lesens nun maßschneidern. Ich will Ihnen zeigen, wie das geht.
Der medienleiter-Tipp:
1. Identifizieren Sie die Reader Signals! Überlegen Sie sich dafür, welche drängenden Fragen, Ängste etc. Ihre LeserInnen bei einem bestimmten Thema haben! (Neben Intuition, speziell ausgearbeiteten Buyer Personas kann dabei auch der Keyword-Planer von Google eine Hilfe sein sein. Er gibt Aufschluss darüber, welche Anfragen im Zshg. mit bestimmten Suchthemen besonders häufig sind. Es handelt sich in der Regel um sogenannte Long Tail-Keywords.
Ein Beispiel: „Mehl“ ist ein generisches Keyword, es deckt eine große Bandbreite eines Produktes ab. Jedoch „Bio Sojamehl kaufen“ ist da schon spezifischer und grenzt die Suche stark ein. Der Nutzer sagt sehr genau, welches besondere Mehl er für seinen speziellen Zweck haben möchte. (Quelle: Wikipedia)
2. Setzen Sie visuelle Anker (z.B. Zwischentitel, Buttons, Hervorhebungen durch fette Schrift im Fließtext etc.) und befüllen Sie diese mit den zuvor identifizierten Reader Signals! Wenn SEO für Sie wichtig ist, sollten Sie Zwischenheadings - Remember the Old SEO-Rule: H1, H2, H3-Zwischentitel werden bei der Onpage-Optimierung höher gewichtet als reiner Fließtext! - zusätzlich mit einem zentralen Keyword befüllen!
3. Gehen Sie auf die Themen der Reader Signals authentisch ein (1 kurzer Absatz ist oftmals ausreichend) und geben Sie klare Antworten darauf!
Ihr Nutzen:
Auf diese Weise entsteht ganz automatisch User-gerechter Content und Sie erreichen, dass Ihre Botschaften auch beim zirkulären (=herumhüpfenden) Lesen Ihrer Zielgruppen gut wahrgenommen werden, weil ja nach ihnen gezielt Ausschau gehalten wird!
Ihre LeserInnen werden länger auf der Website verweilen. Damit verringen Sie nicht zuletzt Kurzbesuche zwischen 5 und 10 Sekunden, welche möglicherweise einen ungünstigen Einfluss auf die Bounce-Rate (= Absprungrate) und damit auf das SEO Ihrer Website haben. Wenn Menschen Ihre Seite ansteuern und beim überfliegenden Scannen keine Reader Signals entdecken, werden sie sofort zu den Google-Suchergebnissen zurückkehren. In diesem Fall haben Sie definitiv etwas falsch gemacht! Dem können Sie durch den gezielten Einsatz von (optisch sofort sichtbaren) Reader Signals gut vorbeugen!
Ein konkretes Beispiel:
Nehmen wir an, Sie sind Arzt und wollen potenziellen PatientInnen erklären, dass Sie ein ausgewiesener Kniespezialist sind. Ihre Zielbotschaft ist, dass Sie eine besonders hohe Erfolgsrate bei Meniskus- und Kreuzbandoperationen aufzuweisen haben. Nun wissen Sie (z.B. auf Basis der strukturierten Analyse einschlägiger Bewertungsplattformen) aber, dass die meisten PatientInnen nicht nur rational nach Statistikfakten (erfolgreiche Operationen) ihre Arztwahl treffen sondern v.a. auch nach emotionalen Kriterien vorgehen. Nach diesen Kriterien bilden sich darob starke Reader-Signal aus. Es geht dabei um Fragen wie: nimmt sich der Arzt/die Ärztin in der Ordination ausreichend Zeit für die Patienten, pflegt er/sie einen empathischen Umgang pflegt, nimmt er/sie Sorgen ernst etc. .
Dieses Reader Signal werden viele Website-BesucherInnen beim zirkulären Screenen der Wesbite suchen. Machen Sie es ihnen daher leicht, diese auch zu finden und lassen Sie dabei keine Fragen offen!