Viele Unternehmer*innen fürchten sich vor dem Web. Ein notwendiges Übel sei es, weil ohne Website gehe es heute eben nicht. Aber vor allem sei das Internet ein Minenfeld, in dem lauter Gefahren lauern. Mehr Gefahren als Chancen. Allen voran die Bedrohung durch negative Kommentare und Bewertungen. medienleiter meint: Das kann auch eine Chance sein – wenn man richtig damit umgeht!
Vor einiger Zeit habe ich auf einer bekannten österreichischen Bewertungsplattform das Profil eines Arztes entdeckt, der sich im Bereich Sportmedizin einen Namen gemacht hat. Bei der Lektüre der Postings fiel mir auf, dass immer wieder der Vorwurf erhoben wurde, dass “normale“ Patienten unhöflich behandelt und mehr schlecht als recht untersucht wurden. (Es gilt die Unschuldsvermutung.) Nicht gerade eine Motivationsspritze, bei dem Arzt Patient zu werden. Die neueren Postings (in sehr kurzen Intervallen hintereinander veröffentlicht) waren hingegen allesamt Jubelmeldungen: toll wie sich dieser Arzt Zeit nimmt, toll seine Diagnosen, überhaupt alles super super super…
Ich vermutete gleich, dass hinter den Psalmen der Arzt selbst stecken könnte (Indizien: ähnliche Sprache, wiederkehrende Grammatikfehler etc.). Der Instinkt, negative Bewertungen durch positive gleichsam zu neutralisieren, ist nachvollziehbar, aber dennoch grundfalsch. Negatives bleibt im Gedächtnis meist besser hängen – dem menschlichen Sicherheitsbedürfnis sei dank: als potenzieller Patient will man für alle Eventualitäten/Gefahren gerüstet sein. Zudem erzählten die negative Meldungen konkrete Erlebnisse und Geschichten, während die Jubelprosa nur eine Aneinanderreihung von Adjektiven parat hielt. Hier zeigt sich die Macht von Storytelling gegenüber leeren Werbephrasen…. [Nicht weniger grundfalsch wäre die Hoffnung, die schlechten Urteile könnten angesichts einer Füllen an guten soweit nach hinten rutschen, dass sie niemandem mehr auffallen. Das zirkuläre Lesen pickt die bösen Perlen zielsicher heraus. Weil genau diese werden – von den meisten Menschen – ja insgeheim gesucht.)
Was hätte der Arzt also tun können? Er hätte z.B. unter seinem Klarnamen posten und sagen können, dass es ihm leid tut, wenn Patienten nicht zufrieden sind mit seiner Behandlung. Er hätte hinzufügen können, dass er Kritik ernst nimmt und vielleicht auch noch eine Nachuntersuchung anbieten. Er hätte dabei sogar viel an Ansehen (zurück)gewinnen können. Zumal eine konstruktive Auseinandersetzung mit Kritik in Foren eher nicht erwartet wird sondern das Gegenteil. Das Durchbrechen von erwartbaren Instinkthandlungen erregt hingegen Aufmerksamkeit. Zudem versteht (fast) jeder (zumindest beim zweiten Mal Nachdenken), dass niemand – auch ein Arzt nicht – perfekt sein kann und schon gar nicht der gläserne Mensch, zu dem uns das Web 2.0 nolens volens macht.
FAZIT: Der Umgang mit Kritik löst im Internet vielfach mehr Aufmerksamkeit aus als die kritischen Kommentare selbst. Wenn jemand positiv mit ihnen umzugehen versteht und den Willen demonstriert, seine Kunden ernst zu nehmen, kann er/sie dabei sogar noch an Reputation und Vertrauen gewinnen. Wer hingegen arrogant oder ignorant auftritt, riskiert einen der gefürchteten Shitstorms. Und dann ist das Netz wirklich ein Fluch.