Vor einiger Zeit fand in Gaimberg bei Lienz eine Diskussionsveranstaltung der Plattform Vordenken für Osttirol statt. Es ging um die Frage, wie ein zukunftsfähiges Leitbild für die Region aussehen könnte („Osttirol 2025“). In so unterschiedlichen Bereichen wie Wirtschaft, Tourismus, Bildung etc. Eine Erkenntnis dabei: mehr Selbstbewusstsein braucht das Land! Das geht nur mit begleitenden Narrativen.

Abwanderung, Überalterung und der Verlust von Infrastruktur nagen am regionalen Selbstwertgefühl. Die vom Südtiroler Manager Richard Piock (Präsident des Verwaltungsrates der Durst Gruppe) 2013 ins Leben gerufene Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, das Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern. Mit einem neuen Leitbild und nachhaltigen Projekten soll Aufbruchsstimmung erzeugt werden.

Laserzsee bei der Karlsbader Hütte in den Lienzer Dolomiten in Osttirol

Umberto Eco und die selbst-sichere Stadt: Dresden

Für das Gelingen des regionalen Relaunches wird entscheidend sein, ob es gelingt, mit neuen Projekten die eigene Identität so stimmig (und marktfähig) zu gestalten, dass sie innerhalb wie außerhalb Osttirols als Qualitätsgütesiegel und Mehrwert wahrgenommen wird. Die Voraussetzung dafür ist, dass man den eigenen Selbst-Wert für sich erkennt und klar definiert. Umberto Eco schreibt in seinem Essay Grundzüge einer Stadtpsychologie, „daß man die Städte gewöhnlich in zwei Kategorien einteilen kann: in die selbstsicheren und die anderen“. Als Beispiel für eine selbstsichere Stadt nennt Eco Dresden und führt auch gleich ein Indiz für seine These an: „Die Dresdner fragen einen gar nicht, ob einem die Stadt gefällt. Sie sagen es einem.“ (An einem nicht-selbstsicheren Ort ist es genau umgekehrt: „Im allgemeinen jedoch – und dies gilt überall in der Welt – erkennt man mangelndes Selbstvertrauen daran, daß einem sofort bei der Ankunft die Frage gestellt wird: ‚Was denken Sie über unsere Stadt?'“)

Selbst-sicherheit manifestiert sich immer auch in der Art, wie man anderen seine Story erzählt, also das auf den Punkt bringt, was einen ausmacht (oder was man meint, das einen ausmacht oder was andere glauben sollen, das einen ausmacht). Im Falle Dresdens ist es der klassische Plot einer Erfolgsgeschichte: in Trümmern gelegen und dann wieder aufgebaut zu einem (post)modernen und weithin attraktiven Ort. Das Dresdner Storytelling wirft nicht zuletzt ein Schlaglicht auf die Menschen der Stadt: sie erscheinen wie Helden, die die Ärmel hochkrempeln und das eigene Schicksal in die Hand nehmen, wenn es schlecht um sie steht, und die konsequent auf die eigene Erfolgsstory hinarbeiten.

Im Laufe der Jahrzehnte hat sich ein ganz spezifisches picture in the mind etabliert, wenn vom (modernen) Dresden die Rede ist. (Nur um dieses geht es mir hier, zumal das Branding der Stadt weitehend von ihm bestimmt wird und in deutlich geringerem Maße von der tatsächlichen Alltags“Realität“. Dass es beim Abgleich zwischen letzterer und dem narrativen Produkt Diskrepanzen gibt, liegt naturgemäß auf der Hand. Das ist selbst beim bekanntesten Geo-Narrativ der Welt, dem American Dream nicht anders.) Der Kontrast zum allgemeinen Image, das der Osten Deutschlands auch 24 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer hat, könnte größer kaum sein. Das „picture in the mind“ ist zu einem assoziativen Erkennungsmerkmal avanciert und hat sich ins kollektive Gedächtnis von Dresdnern wie Nicht-Dresdnern eingebrannt. Mithilfe kleiner Trigger (=einzelne Versatzstücken aus dem Narrativ) lässt es sich bzw. die mit ihm einhergehende Wirkung immer wieder aufs Neue abrufen (=Branding!). Den einen ringt es Wertschätzung ab, den anderen impft es die von Eco angesprochene Selbst-sicherheit ein. (Wie man das Storytelling gezielt lenken kann und dadurch narrative Wiedererkennungswerte schafft, erkläre ich im nächsten Osttirol-Beitrag.)

Eine selbst-sichere Region: Südtirol

Das Bild zeigt den Schriftzug "Südtirol" - Botschaft: Starke Narrative sind im Regionalmarketing ein unschätzbarer Boost!

Was auf der Ebene einer Stadt funktioniert, ist auch in einer Region möglich. (Selbst in einem Staat – siehe Schweiz.) Ein Beispiel hierfür wäre Südtirol. Die Wirkung der jüngeren Südtirol-Story ist mit jener von Dresden durchaus vergleichbar: selbstbestimmt, selbstbewusst, motiviert, zukunftsorientiert, werthaltig etc. sind nur ein paar Adjektive, die von vielen Menschen assoziativ mit dem Land in Verbindung gebracht werden. Sie sind das Produkt eines ganz spezifischen Geschichtenrahmens, den wir im Zshg. mit Südtirol in unseren Köpfen abgespeichert und verinnerlicht haben.  Untermauert und verstärkt wird das Bild durch reale und sichtbare Ausprägungen: aus einer schwierigen historischen Situation heraus ist Südtirol zu einer prosperienden Region mit potenten Unternehmen und einer touristischen Marke herangereift, die in Sachen Attraktivität ihresgleichen sucht. Man hat es geschafft, rund um die Südtiroler Autonomie Narrative zu bilden, welche genau diese Selbst-sicherheit vermitteln. Und diese wird in der Tourismuswerbung (z.B. im Hotelmarketing) oder wenn Unternehmen aus dem Land der Drei Zinnen expandieren als Markenattraktivitäts-Boost meist nicht zu knapp mitvermarket. Anders gesagt: wenn eine Region starke Narrative entwickelt, können diese von Initiativen, Vereinen, Unternehmen etc. (wie in einem Selbstbedienungsladen) genutzt und wertsteigernd eingesetzt werden!

Und Osttirol?

Das nach außen gekehrte Mindset eines Untertanen in einer abgelegenen Peripherie ist naturgemäß das exakte Gegenteil von Selbstsicherheit. Diese Eigenschaft scheint Osttiroler in ihrer Außenwirkung aber bisweilen zu kennzeichnen – wie bei der Diskussion im Gaimberg (oder auch in diesem Interview mit Dr. Piock) mehrfach thematisiert wurde. (Die historischen bzw. mentalitätsgeschichtlichen Ursachen seien an dieser Stelle dahingestellt.) Bankdirektor Hansjörg Mattersberger, Sprecher des Arbeitskreis Wirtschaft, brachte es mit einer Episode schön auf den Punkt. In dieser stellte sich ein Mann seinen auswärtigen Gesprächspartnern mit den Worten „I bin lei a Oschtirola“ vor. (Ähnliches habe ich selbst auch schon beobachten können.) Wer von sich (im Kollektiv) so ein (Selbst)Bild vermittelt, erzeugt eine verheerende Außenwirkung. Wenn jemand vom eigenen Wert nicht überzeugt ist, warum soll es dann jemand anderer sein?

Dabei gibt es durchaus positive Lichtblicke: etwa das Villgratental, das rund um den Slogan „Kommen Sie zu uns – wir haben nichts!“ ein Narrativ entwickeln konnte, welches einen hohen Markenawert in touristisch attraktiven Zielgruppen sichert – nicht zuletzt durch hervorragende Presseberichterstattung (etwa hier oder hier)

Lesen Sie im nächsten Teil: Wie Narrative im Regionalmarketing gezielt eingesetzt werden!